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Arbeitskräftemangel in der Weinbranche – weltweit die Herausforderung für die Zukunft

Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht über die Folgen des Arbeitskräftemangels berichtet wird. Die in vielen Ländern Europas geburtenstarken Jahrgänge der Baby-Boomer scheiden aus dem Arbeitsmarkt aus und können oft nicht im gleichen Maße durch jüngere Arbeitskräfte ersetzt werden.

Wie stark und in welchen Bereichen ist die Weinbranche von dem Mangel an Arbeitskräften betroffen, und wie reagiert sie darauf? Welche Chancen und Risiken sieht die Branche für die nahe Zukunft in Punkto Arbeitskräfte? Schon der ProWein Business Report 2022 hat sich diesem zentralen Thema intensiv gewidmet.

1. Arbeitskräftemangel: das zentrale Thema

Insgesamt gibt fast jedes zweite Unternehmen (45 %) der Weinbranche an, in den letzten zwei Jahren (2021 und 2022) von Arbeitskräftemangel betroffen gewesen zu sein. Bei den Weinproduzenten liegt der Arbeitskräftemangel leicht über dem Branchendurchschnitt, jeder zweite Betrieb ist betroffen, bei den Kellereien tendenziell etwas mehr (links in Abbildung 1). Ein Grund für den höheren Mangel im Produktionsbereich liegt vor allem in der starken Saisonalität der anfallenden Arbeiten – also in der Erntezeit und während der Vegetationsperiode.

Auf der Handelsseite sind die Hotellerie (90 %) und die Gastronomie (66 %) am stärksten vom Arbeitskräftemangel betroffen. Diese Unternehmen waren während der Pandemie durch Lockdowns und den Einbruch im Reiseverkehr zu langen Schließungen gezwungen. In dieser Phase waren viele Arbeitskräfte in Kurzarbeit, ein Teil suchte sich Arbeit in anderen Branchen, die teilweise auch regelmäßigere und familienfreundlichere Arbeitszeiten sowie bessere Bezahlung boten. Nach der Normalisierung fiel es vielen HoReCa-Unternehmen schwer, ihr altes oder neues Personal (zurück) zu gewinnen. Viele offene Stellen konnten nicht besetzt werden – ein Zustand der auch 2023 noch zu beobachten ist.

Ganz anders sieht es bei Importeuren, Distributeuren, Exporteuren und Weinfachhändlern aus: Sie sind mit 32 % bis 36 % vergleichsweise weniger stark vom Arbeitskräftemangel betroffen. Hier wirkt sich positiv aus, dass diese speziell im Weinbereich qualifizierten Mitarbeiter eher regelmäßige Arbeitszeiten haben, keinen starken saisonalen Schwankungen unterliegen und deshalb oft fest angestellt sind.

Welche Arbeitskräfte fehlen den Weinproduzenten?

Weinproduzenten fehlt es am stärksten an Saisonarbeitskräften. Fast zwei von drei Unternehmen (63 %) geben an, dass ihnen Aushilfen während der Ernte oder für die Urlaubszeiten mit dem höchsten Andrang an Touristen fehlen (Abbildung 2). Traditionell waren nicht werktätige Hausfrauen, Rentner und Schüler eine stille Arbeitsreserve, die für die intensive Erntesaison aktiviert werden konnte. Die steigende Präsenz der Frauen im Arbeitsmarkt und das höhere Renteneintrittsalter bei gleichzeitiger finanzieller Absicherung haben diese Reserven meist versiegen lassen. Durch die geburtenschwachen jungen Jahrgänge gibt es auch immer weniger Schüler und Studenten, die aushelfen könnten und zusätzlich von anderen Branchen mit teils hohen Löhnen stark umworben werden.

In vielen Ländern Mitteleuropas – wie Deutschland, Österreich und Norditalien – kam der ganz wesentliche Anteil an Saisonarbeitskräften deshalb in den letzten 30 Jahren aus Osteuropa. Hier hatten sich im Laufe der Zeit oft feste Beziehungen gebildet, wo teilweise die ganze Familie der Saisonarbeiter jedes Jahr beim gleichen Betrieb wohnte und arbeitete – für die Weinproduzenten äußerst effizient. Der stark gestiegene Mindestlohn hat die Arbeit in Ländern wie Deutschland zwar attraktiver gemacht, gleichzeitig sind die Einkommensmöglichkeiten in den Heimatländern aber auch deutlich attraktiver geworden. Hinzu kommt: Auch in den wirtschaftlich aufstrebenden Ländern Osteuropas gibt es durch den Geburtenrückgang mittlerweile einen starken Mangel an Arbeitskräften.

Länder wie Australien und Neuseeland, wo 50 % der Betriebe nicht genügend Saisonarbeitskräfte finden, leiden vor allem unter dem Covid-bedingten Tourismus-Einbruch. Zusätzlich hat die Pandemie auch die Einreise von Work-and-Travel Saisonarbeitskräften verhindert. Die globale Erholung könnte diese Situation zwar verbessern, aber die stark angestiegenen Flugpreise erschweren die Rückkehr von Work-and-Travel Saisonarbeitskräften. Der Mangel an Saisonarbeitskräften ist auch hoch bei den Weinproduzenten in Portugal (94 %) und Spanien (77 %) sowie in Kalifornien/USA (73 %) sehr hoch. Jedes zweite weinproduzierende Unternehmen gibt an, nicht ausreichend Arbeitskräfte für die Weinproduktion und -Abfüllung finden zu können. Diese Fachkräfte erfordern meist einen qualifizierten Berufsabschluss. Weil Handwerker und qualifizierte Industriearbeiter in den meisten Branchen Mangelware sind, konkurriert die Weinbranche hier mit der oft deutlich zahlungskräftigeren Industrie. So berichten viele Betriebe von der aussichtslosen Suche nach Fahrern für LKW und Gabelstapler. Drei von vier Genossenschaften sind vom Personalmangel in der Weinproduktion betroffen. Bei den Weingütern ist der Mangel mit 43 % nicht ganz so hoch ausgeprägt, weil hier oft Familienmitglieder – vor allem in kleineren Betrieben – die Arbeit übernehmen können. Der Mangel ist besonders hoch in Frankreich, wo 77 % der Weinproduzenten Fachkräfte im Keller suchen, gefolgt von Kalifornien/USA (67 %), sowie Deutschland, Österreich und Portugal (50 %).

Arbeitskräfte im Verkauf und Vertrieb, in der gastronomischen Betreuung und für administrative Verwaltungstätigkeiten werden von jedem fünften Produzenten gesucht. Am geringsten ist der Mangel an qualifizierten und hoch qualifizierten Arbeitskräften im mittleren und höheren Management (nur 4 %). Ein Grund dafür ist auch die Kleinstrukturiertheit der Weinbranche, in der Führungsaufgaben in vielen Betrieben von den Familienmitgliedern übernommen werden. Nur große Unternehmen haben einen Bedarf an angestellten Führungskräften, der durch den weiteren Strukturwandel in Zukunft aber weiter zunehmen wird.

2. Der Arbeitskräftemangel und seine Auswirkungen

Die Unternehmen haben den Mangel an Arbeitskräften vorwiegend durch Mehrarbeit bzw. Überstunden (Abbildung 3) kompensiert. Vor allem die Inhaberfamilien und Betriebsleiter berichten von einer deutlich gestiegenen Arbeitsbelastung: „Ich habe keinen freien Tag mehr.“ „Die Familie fängt das durch Mehrarbeit auf, auch am Sonntag“. „Wir arbeiten als Familie rund um die Uhr.“ „Wir müssen deutlich mehr arbeiten, Familienzeit und Pausen gibt es dadurch keine mehr.“ Die vielen Kommentare zeigen, dass die familiengeführten Unternehmen bereits jetzt an ihrer Belastungsgrenze angekommen sind und eine weitere Verschlechterung der Lage nicht kompensieren können. Die zusätzlichen wirtschaftlichen Sorgen führen hier nicht selten zu extrem hoher psychischer Belastung bis zum Burnout. Fällt einmal ein Familienmitglied aus, verstärken sich die wirtschaftlichen Sorgen zusätzlich dadurch, dass die Festanstellung eines externen Ersatzes deutlich höhere Kosten verursacht. Die sozial und wirtschaftlich wenig nachhaltigen Arbeitsanforderungen der weinbaulichen Betriebe verringern auch die Chancen der Übernahme des Betriebes in der nächsten Generation, die sich oft fragt, ob sich diese viele Arbeit überhaupt lohnt.

Fehlende Arbeitskräfte wirkten sich auch direkt auf die Betriebsleistung der Unternehmen aus. Jeder Dritte konnte nicht die angestrebte Qualität oder Service bieten. Die Ernte verzögerte sich, damit kam es zu Qualitätseinbußen im Lesegut. Den Kunden in Gastronomie und Hotellerie konnte nicht der gewünschte Service geboten werden. Um bestehende Prozesse zu gewährleisten, musste teilweise die angebotene Kapazität verringert werden. Weingutsschänken, Restaurants und Hotels reduzierten teilweise bewusst ihr Angebot, um einen ausreichenden Service der verbleibenden Tische und Zimmer zu gewährleisten. Fast jedes vierte Unternehmen musste durch den Personalmangel Verluste des Umsatzes in Kauf nehmen, weil nicht mehr alle Produkte oder Dienstleistungen angeboten werden konnten. Fast jedes fünfte Unternehmen hat die Öffnungszeiten reduziert (18 %) oder konnte nur mit Verzug liefern (16 %).

Der Personalmangel hat bereits jetzt Auswirkungen auf die langfristige Entwicklung der Branche. 36 % der Unternehmen konnten neue Geschäftsmöglichkeiten nicht wahrnehmen oder nicht wachsen wie geplant. Jedes vierte Unternehmen, vor allem Weingüter (32 %) und Hotels (33 %), musste bestimmte Tätigkeiten an externe Dienstleister outsourcen, weil nicht ausreichend eigenes Personal verfügbar war. Durch die notwendige Gewinnmarge der externen Dienstleister reduziert sich teilweise der Gewinn des Unternehmens.

3. Wie reagieren die Betriebe auf die aktuelle Situation?

Die Unternehmen reagierten mit einer Vielzahl an Maßnahmen auf den Arbeitskräftemangel:

Jeder zweite Betrieb weitete die Suchaktivitäten in Frequenz und Umfang deutlich aus (Abbildung 4).
Jeder vierte Betrieb hat Mitarbeiter mit nicht ausreichenden Qualifikationen eingestellt, um ihn dann im Betrieb aus- und weiterzubilden – was wiederum ein zusätzliches Zeit-Investment ist.
Jeder dritte Betrieb verbesserte die Arbeitsbedingungen, um bestehendes Personal halten – in Anbetracht der gleichzeitig oft notwendigen Überstunden keine leichte Aufgabe. Unternehmen berichten auch von Team-Building Aktivitäten und Maßnahmen.
Angesichts des Personalmangels erhöhte jedes vierte Unternehmen die Löhne für bestehende und neue Mitarbeiter. Damit stoßen jedoch viele Betriebe an wirtschaftliche Grenzen. Die bereits vor der Krise geringe ökonomische Nachhaltigkeit vieler Betriebe der Weinbranche kommt damit zusätzlich unter Druck. Diejenigen Unternehmen, die in ihrer Rentabilität am wenigsten Spielraum haben, werden im Wettbewerb um geeignete Arbeitskräfte die größeren Schwierigkeiten haben. Das knappe Personal wandert in Branchen mit höherer Wertschöpfung, höheren Löhnen sowie besseren Arbeitsbedingungen. Manche Betriebsinhaber berichten davon, dass sie Weinbergsflächen oder das Unternehmen aufgeben wollen, weil sie am Ende für ihre Arbeitszeit weniger verdienen als ihre Mitarbeiter. Die steigenden Löhne erhöhen damit auch die Opportunitätskosten der Inhaber.

Die höhere Altersstruktur in vielen Weinbauländern wird das Personalproblem in Zukunft weiter verschärfen. Es ist deshalb ökonomisch sinnvoll, saisonale Arbeiten zu mechanisieren – dadurch kann der Arbeitskräftemangel aufgefangen werden. Jedes fünfte Unternehmen hat Maßnahmen der Mechanisierung, Automatisierung und Digitalisierung durchgeführt. Davon profitieren vor allem die Flachlagen, wo Rebschnitt und Ernte bei großen Betriebsflächen wirtschaftlich sinnvoll mechanisiert werden kann und in Zukunft der Einsatz autonomer Fahrzeuge (Robotics) möglich scheint. Die nicht mechanisierbaren Steillagen verlieren durch die Verteuerung der knappen Arbeitskräfte und die Auswirkungen des Klimawandels doppelt an Boden.

4. Wie geht es in Zukunft weiter? Chancen und Risiken

Wie sieht es mit Bedrohungen und Chancen im Hinblick auf die zukünftige Verfügbarkeit von Mitarbeitern aus? Über 70 % (Abbildung 5) sind der Meinung, dass die höheren Lohnangebote anderer Branche zu weiteren Personalverlusten führen wird. Jeder Zweite macht dafür auch die geringe Rentabilität der Weinbranche verantwortlich, die durch geringe Löhne die Attraktivität für Mitarbeiter einschränkt. Den Bezug zur Natur und zum Kulturprodukt Wein sehen wiederum 51 % der Unternehmen als Chance, die Branche auch in Zukunft attraktiv für Mitarbeiter zu machen.

Mehr als jeder Zweite (57 %) geht davon aus, dass die Mechanisierung, Automatisierung und Digitalisierung durch den Personalmangel weiter zunehmen wird. Durch Skaleneffekte können vor allem große Unternehmen und Kooperationen wie Genossenschaften davon profitieren –beispielsweise, indem sie die dafür notwendigen hohen Investitionen und Unterhaltungskosten tragen können. Auch diese Prozesse erhöhen den wirtschaftlichen Druck auf die weinbaulichen Betriebe.

Aus Sicht der meisten Unternehmen (54 %) ist die Branche auch in Zukunft auf Immigration und internationale Saisonarbeitskräfte angewiesen. Durch die sich ändernden Rahmenbedingungen ist es allerdings fraglich, ob das Niveau der Vergangenheit auch in Zukunft sichergestellt werden kann.

Die Faszination des Produktes Wein und die Arbeit in der Natur sind aus Sicht vieler Betriebe eine besondere Stärke der Branche mit einer besonderen Anziehungskraft für potenzielle Mitarbeiter. Die junge Generation ist tatsächlich stark an „grünen“ Berufen und dem Thema der Nachhaltigkeit interessiert. Damit kann die Branche punkten.

Im Gegensatz zu wirtschaftlichen Krisen der Vergangenheit steigt die Zahl der verfügbaren Arbeitskräfte derzeit nicht an. Die aktuelle ökonomische Krise wird deshalb auch nur von sehr wenigen Unternehmen als Chance gesehen, einfacher Mitarbeiter zu finden. Hinzu kommt: In vielen Ländern herrscht über viele Branchen hinweg hoher Personalmangel, so dass viele Unternehmen sich scheuen, Mitarbeiter zu entlassen.

5. Ausblick

Die Weinbranche steht vor der großen Herausforderung, auch in Zukunft Personal binden und gewinnen zu können. Die Branche wird sich anpassen und beispielsweise Bereiche mit besonders hohem Personalmangel zunehmend zu mechanisieren. Dies wird den Strukturwandel in der Branche vorantreiben und zu einer weiteren Konzentration der Weinproduktion führen. Der Weinhandel wird dagegen auch auf absehbare Zeit ein Geschäft zwischen Menschen bleiben, wo es auf den Aufbau persönlicher Beziehungen ankommt. Hier muss die Branche im Wettbewerb um qualifiziertes Personal bestehen: durch angemessene Löhne, gute Arbeitsbedingungen und den Spaß am Produkt Wein.

Auch der kommende ProWein Business Report, der im Januar 2024 veröffentlicht wird, hinterfragt das Ausmaß des Arbeitskräftemangels und beleuchtet die aktuelle Situation.
www.prowein.de

 

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