Nachhaltigkeit neu denken

„Green Gluing“ oder „nachhaltiges Kleben“ sind aktuelle Schlagworte in der Verpackungsindustrie. Was aber bedeutet Nachhaltigkeit? Innerhalb der UN-Nachhaltigkeitskriterien und der Product Environmental Footprint-Kriterien (PEF) sind nicht alle Ziele gleichermaßen erreichbar. Der bestmögliche Kompromiss muss gefunden werden. In der öffentlichen Diskussion werden jedoch einzelne Kriterien betont und je nach Interessenlage unterschiedlich gewichtet. Das führt zu Unsicherheiten und teilweise widersprüchlichen Aussagen. Baumer hhs-Geschäftsführer Percy Dengler und Thomas Walther, Head of Business Development des Unternehmens, beleuchten das Thema kritisch.

Wie geht Baumer hhs das Thema Nachhaltigkeit an?

Percy Dengler: Als Partner der Verpackungsindustrie für den industriellen Klebstoffauftrag stellt sich Baumer hhs unter anderem diesen Fragen: Wie definieren wir, unsere Kunden und unsere Industriepartner den Begriff Nachhaltigkeit? Welchen Einfluss hat der Klebstoffauftrag auf die Nachhaltigkeit von Verpackungen? Kleben ist ein Kernprozess der Verpackungsherstellung. Doch der Klebstoffauftrag ist in der Wertschöpfungskette nur ein Glied. Aus unserer Sicht zählt das UN-Nachhaltigkeitsziel Partnerschaft zu den wichtigsten. Denn nur eine partnerschaftliche Umsetzung schafft die Bedingungen für echte Nachhaltigkeit. Dies gilt uneingeschränkt auch für die Verpackungsherstellung. Daher kooperieren wir in der Forschung eng mit Industriepartnern und Kunden, um gemeinsam die Potenziale für eine verbesserte Nachhaltigkeit in der Verpackungsherstellung herauszuarbeiten. Keine Frage: Dem nachhaltigen Kleben gehört die Zukunft.

Wer sind Ihre Kooperationspartner?

Thomas Walther: Zum Beispiel die europaweite Initiative 4evergreen hat sich zum Ziel gesetzt, den Beitrag faserbasierter Verpackungen zu einer nachhaltigen Kreislauf-Wirtschaft zu erhöhen, um die Auswirkungen von Verpackungen auf Klima und Umwelt zu minimieren. Als Gründungsmitglied bringen wir uns hier aktiv ein. Zu den weiteren 4evergreen-Mitgliedern gehören unter anderem Nestlé, Danone, Procter & Gamble, Westrock, AR Packaging, viele Karton- und Papierhersteller sowie Recyclingbetriebe. Diese Allianz bringt also die gesamte Wertschöpfungskette zusammen. Zudem engagiert sich Baumer hhs weltweit in bilateralen Kooperationen mit Klebstoffherstellern und Kunden. Unser Unternehmen ist offen für jeden Partner, der das Thema Nachhaltigkeit voranbringen will.

Percy Dengler: Unser Ansatz lautet „Rethink“, also sich erst Gedanken über die richtigen Dinge zu machen, bevor man diese Dinge dann richtig macht. Wir wollen den Klebstoffauftrag neu denken. Dabei gehen wir die Thematik ganzheitlich an und befinden uns auf verschiedenen Ebenen in intensiven Diskussionen mit Kunden, Industriepartnern und Forschungsinstituten. Wir betreiben also kein „Green Washing“.

Welches sind in Ihrer gesamtheitlichen Betrachtung die wichtigsten Aspekte?

Percy Dengler: Die Antwort auf die Frage, in welcher Weise der industrielle Klebstoffauftrag das Bemühen der Verpackungsindustrie um mehr Nachhaltigkeit unterstützen kann, ist ausgesprochen komplex. Vieles, was auf den ersten Blick als nachhaltig erscheint, erweist sich in der Gesamtbilanz als kritisch. Die Nachhaltigkeit von Verpackungen lässt sich nur beurteilen, wenn ihr gesamter Lebenszyklus betrachtet wird. Leider wird die öffentliche Diskussion von einzelnen Aspekten dominiert, die lediglich einzelne, für die einzelnen Anbieter günstige Kriterien der Nachhaltigkeit herauspicken.

Die Neuausrichtung des industriellen Klebstoffauftrags beginnt bei der Entwicklung biobasierter, nachhaltiger Klebstoffe über den Aufbau einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft bis hin zur weiteren Optimierung bzw. Minimierung des Klebstoffverbrauchs. Darüber hinaus werden wir unsere Kunden noch gezielter unterstützen, in ihren Klebeprozessen maximale Energieeffizienz zu erreichen und Abfälle zu vermeiden. Unsere Technik und Lösungen haben wir seit je her auf optimierten Klebstoffverbrauch, maximale Energieeffizienz und Abfallvermeidung ausgerichtet, sehen hier aber nach wie vor Potenziale für weitere Verbesserungen. Biobasierte Klebstoffe und der Aufbau einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft dagegen sind für uns vergleichsweise junge Themen. Wir wollen hier überall stets die gesamte Wertschöpfungskette im Blick haben und uns immer wieder kritisch hinterfragen.

Was konkret sind biobasierte Klebstoffe?

Thomas Walther: In heutigen Klebstoffen kommen in aller Regel Zusatzstoffe aus fossilen, nicht erneuerbaren Rohstoffen zum Einsatz. Ein Beispiel sind Polymere, die auf Basis von Erdöl hergestellt werden. Angesichts des Wachstums der Weltbevölkerung und der global steigenden Nachfrage nach Verpackungen ist die Verpackungsbranche gefordert, das Spannungsfeld zwischen Wachstum und Ressourcenknappheit aufzulösen sowie die Ökobilanzen ihrer Produkte und Prozesse signifikant zu verbessern. Biobasierte Klebstoffe aus erneuerbaren Rohstoffen können einen Beitrag dazu leisten.

Um welche erneuerbaren Rohstoffe handelt es sich?

Thomas Walther: Wir sprechen hier beispielsweise von stärkebasierten Rohstoffen, natürlichen Harzen, Naturkautschuk oder natürlichem Latex. Aus Sicht von Baumer hhs wäre es allerdings besser, zumindest teilweise auf Biomassen zu setzen, die Abfallprodukte anderer Prozesse oder der Landwirtschaft sind.

Zum Beispiel?

Thomas Walther: Interessante Potenziale sehen wir unter anderem bei Ernterückständen aus der Getreideproduktion und aus anderen Bereichen der Landwirtschaft sowie bei Lignin, das in großen Mengen in der Papier- und Holzindustrie entsteht. Hier ist dieser Stoff letztlich ein Abfallprodukt. Bei Lignin handelt es sich um eine Kohlenstoffverbindung, die mit ihren spezifischen Eigenschaften das Potenzial hat, synthetische Zusatzstoffe in der Klebstoffherstellung zu ersetzen.

Welche Kriterien entscheiden generell darüber, ob Biomassen für Industrieklebstoffe geeignet sind?

Thomas Walther: Da gibt es etliche Faktoren. Zum Beispiel müssen Klebstoffe aus Biomassen die gleichen Applikationseigenschaften wie konventionelle Klebstoffe bieten, damit es in der Verpackungsproduktion nicht zu verringerter Ausbringung oder höheren Fehlerquoten und damit zu mehr Abfall kommt. Ansonsten steht die Nachhaltigkeit nur auf dem Papier. Aufgabe der Forschung ist es also, unter anderem die Applikationseigenschaften biobasierter Klebstoffe von vornherein mit zu untersuchen. Baumer hhs trägt zum Beispiel stärkebasierte Klebstoffe erfolgreich in ausgewählten Industriesegmenten auf. Für die schnelllaufenden Maschinen in der Verpackungsherstellung sind diese Klebstoffe allerdings bisher nicht geeignet. Dafür reichen bestimmte Eigenschaften wie ihre Applikationsqualität, ihre langen Abbindezeiten und ihre geringe Spaltüberbrückung in vielen Fällen nicht aus. Wir erforschen selbst die Applikations- und Klebeeigenschaften biobasierter Klebstoffe, sind aber auch aktiver Partner von Forschungsverbünden.

Gehört Stärke nicht in den Bereich Lebensmittel?

Thomas Walther: Ja, natürlich. Auch bei nachhaltigen Rohmaterialien gilt es, Zielkonflikte abzuwägen. Eine steigende Nachfrage nach Stärke könnte die Preise bestimmter Lebensmittel in die Höhe treiben. Eine steigende Nachfrage nach Naturkautschuk könnte zu Rodungen im Regenwald führen, um Kautschuk-Plantagen anzulegen. Darüber hinaus wären bei Klebstoffen aus Naturkautschuk auch die Kosten der Gewinnung und ihres Transports einschließlich der dabei verursachten CO2-Emissionen zu betrachten. Gleichzeitig sind soziale Fragen zu analysieren. Gefährdet die Plantagenwirtschaft womöglich die Versorgung der lokalen Bevölkerung mit landwirtschaftlichen Produkten? Kommt die Plantagenwirtschaft der Bevölkerung zugute oder profitieren von ihr nur wenige Großgrundbesitzer?

Percy Dengler: Die Rahmenbedingungen der Produktion von Biomassen entscheiden über ihre Nachhaltigkeit mit. Bei der Beurteilung dieser Rohmaterialien legen wir gemeinsam mit unseren Industriepartnern die Kriterien der Agenda 2030 der UN für nachhaltige Entwicklung auf ökonomischer, sozialer und ökologischer Ebene zugrunde. Im Rahmen eines Life Cycle Assessments (LCA) betrachten wir ihre gesamte Lebensphase einschließlich eventueller Zielkonflikte mit anderen Bereichen. Das heißt, wir beschäftigen uns in der Tiefe mit diesen komplexen Themen, um im maschinellen Klebstoffauftrag echte Nachhaltigkeit zu erreichen.

Warum beschäftigt sich Baumer hhs als Hersteller von Lösungen für den industriellen Klebstoffauftrag so intensiv mit nachhaltigen Klebstoffen?

Percy Dengler: Ein intensiver Know-how-Transfer zwischen Baumer hhs und seinen Industrie- und Forschungspartnern ist eine Grundvoraussetzung für die Entwicklung geeigneter Lösungen für den industriellen Klebstoffauftrag mit biobasierten Klebstoffen. Die Nachhaltigkeit muss Hand in Hand mit den hohen Anforderungen unter anderem der Verpackungsindustrie an die Produktivität, Qualität, Zuverlässigkeit, Flexibilität und Wirtschaftlichkeit gehen. Um das sicherzustellen, arbeiten Baumer hhs, die Klebstoffhersteller und die Forschungspartner bei der Klebstoffentwicklung eng zusammen. Unser umfassendes Praxiswissen rund um den industriellen Klebstoffauftrag fließt genauso in die Entwicklung nachhaltiger Klebstoffe ein wie die Expertise der Klebstoffhersteller in die Entwicklung unserer Lösungen für den Klebstoffauftrag. Wo es erforderlich ist, passen wir diese an, damit sie in den Prozessen unserer Kunden die erforderliche Produktivität, Qualität, Zuverlässigkeit, Flexibilität und Wirtschaftlichkeit bieten. Der gesamte Prozess muss aufeinander abgestimmt sein. Nur dann verdient er das Label „Green Gluing“.

Bei Lebensmittelverpackungen gibt es einen weiteren wichtigen Aspekt: Biobasierte Klebstoffe werden je nachdem mit Zusatzstoffen versehen. Hier muss ausgeschlossen werden, dass schädliche Bestandteile in Lebensmittel migrieren können.

Wie sehen Sie die regulatorischen Maßnahmen wie unter anderem die Kunststoffstrategie der EU und die Stärkung des Verursacherprinzips durch die Einführung einer erweiterten Herstellerverantwortung hinsichtlich der Umweltauswirkungen von Verpackungen?

Percy Dengler: Aus Sicht von Baumer hhs sind diese Maßnahmen zu begrüßen, da sie eine notwendige Entwicklung anstoßen. Der Markt fordert von der Verpackungsindustrie, den Ruf ihrer Produkte zu verbessern. Sie muss diese so umweltfreundlich wie möglich produzieren. Und die Verpackungen selbst müssen so umweltfreundlich wie möglich sein. Mit unserer Nachhaltigkeitsstrategie wollen wir unsere Kunden in der Herstellung umweltfreundlicher Verpackungen so effektiv wie möglich unterstützen. Umweltfreundliche Verpackungen sichern Arbeitsplätze in der Verpackungswirtschaft und in ihren Zulieferunternehmen.

Zudem treiben die regulatorischen Maßnahmen neue Entwicklungen an. Zum Beispiel sind bei uns in kurzer Zeit erstaunlich viele Anfragen nach Maschinen für den Klebstoffauftrag in der Herstellung papierbasierter Strohhalme und Becher eingegangen. Diese papierbasierten Strohhalme und Becher ersetzen zunehmend Einwegprodukte aus Kunststoffen.

Wie steht es bei Biomassen um das Thema Wirtschaftlichkeit?

Percy Dengler: Klebstoffe aus Biomassen müssen ein vergleichbares Preis-Leistungsverhältnis aufweisen wie konventionelle Klebstoffe. Das heißt, die Klebstoffherstellung braucht Biomassen, die in ausreichender Menge verfügbar sind bzw. produziert werden können. Erdölbasierte Rohstoffe, die in der Herstellung konventioneller Klebstoffe eingesetzt werden, unterliegen Preisschwankungen. Diese sollten bei nachhaltigen Klebstoffen möglichst ausgeschlossen werden. Das wäre ein weiterer Vorteil biobasierter Klebstoffe.

Bieten Klebstoffe aus Biomassen Vorteile im Recycling?

Thomas Walther: Manche Hersteller bewerben ihre Bioklebstoffe sogar als kompostierbar. Aus Sicht von Baumer hhs kann das Ziel aber nicht lauten, papierbasierte Verpackungen zu kompostieren bzw. in die Landschaft einzubringen. Unser Ziel ist das Recycling – also eine funktionierende Kreislaufwirtschaft, die eine Wiederverwertung von Verpackungsmaterialien sichert und so die Umweltauswirkungen von Verpackungen minimiert. Konventionelle Klebstoffe können den Recycling-Prozess papierbasierter Verpackungen negativ beeinflussen. Das gilt insbesondere für Heißleime. Deshalb versuchen zum Beispiel Endverpacker, sie gegen leichter recycelbare Kaltleime zu ersetzen.

Inzwischen kommen mehr und mehr Schmelzklebstoffe auf Basis von Biomassen auf den Markt. Mit Blick auf das Thema nachhaltiges Kleben ist das grundsätzlich zu begrüßen. Aber auch hier müssen die Auswirkungen auf den Recycling-Prozess analysiert werden. Unabhängig davon, auf welcher Basis sie formuliert werden, haben Schmelzklebstoffe eins gemeinsam: In der Aufbereitung von Altpapier und in der Herstellung von Recyclingpapier neigen sie zur Bildung klebender Verunreinigungen. Diese können die Qualität der Recyclingpapiere beeinträchtigen und in den Papiermaschinen kostspielige Störungen verursachen. Baumer hhs verfügt bereits über einige positive Erfahrungen mit Schmelzklebstoffen, die zumindest zum Teil auf Biomassen basieren. Aber auch hier gibt es nach wie vor offene Fragen.

Je leichter sich Verpackungen recyceln lassen, desto weniger kostet das Recycling. Leichte Recycelbarkeit kommt also auch der Wirtschaftlichkeit von Verpackungen zugute. Zudem fördert die leichtere Recyclingfähigkeit den Grad der Rückgewinnung wertvoller Fasern und unterstützt das Erreichen der Rückgewinnungsziele des EU-Kreislaufplans.

Mit GlueCalc haben Sie vor einiger Zeit eine intelligente App für Smartphones auf den Markt gebracht, mit der Verpackungshersteller ihren Klebstoffverbrauch minimieren bzw. optimieren können. Ist nicht generell eine Minimierung des Ressourceneinsatzes in der Verpackungsherstellung anzustreben?

Percy Dengler: Ja, natürlich, und die Branche arbeitet auf breiter Front daran. Mit GlueCalc können Verpackungshersteller und Endverpacker per Eingabe weniger Daten schnell und einfach auftragsbezogen ausrechnen, in welchem Maß sie ihren Klebstoffverbrauch und ihre CO2-Emissionen verringern, wenn sie ihren Klebstoffauftrag von Raupen auf Punkte umstellen. Auf diese Weise haben viele unserer Kunden ihren Klebstoffverbrauch und ihre CO2-Emissionen um 50 % und mehr reduziert. Das heißt gleichzeitig, dass die von ihnen hergestellten Verpackungen weniger Klebstoff in den Recycling-Prozess einbringen.

Unsere elektromagnetischen Klebstoffauftragsventile bieten die für den Auftrag kleiner Klebstoffpunkte erforderliche Präzision. Darüber hinaus zeichnen sie sich im Vergleich zu elektropneumatischen Ventilen durch eine besonders lange Lebensdauer aus. Auch das ist ein wichtiger Punkt: Bei diesen Ventilen ist ausgeschlossen, dass ein höherer Verschleiß die ökologischen und ökonomischen Vorteile der Einsparungen im Klebstoffverbrauch wieder aufhebt.

Gleichzeitig minimiert die Zuverlässigkeit der Technik den Abfall in der Verpackungsproduktion. Hier kommen auch unsere Qualitätssicherungssysteme ins Spiel. Sie stellen sicher, dass unsere Kunden ihren Kunden zu 100 % einwandfreie Verpackungen liefern. Kurz: In der Herstellung nachhaltiger Verpackungen – einschließlich des maschinellen Klebstoffauftrags – müssen die verschiedenen Faktoren Hand in Hand gehen.
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