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Last Order: Letzter weltweiter Produktionslauf von Mikrofilmkarten

Ein erfolgreiches analoges Speichermedium verabschiedet sich. Digitalisierungs-Dienstleister im motio-Netzwerk retten Informationen für die Nachwelt.

In den 1950er Jahren begann die Erfolgsgeschichte eines analogen Speichermediums, dessen Herstellung jetzt ausläuft. Die Filmlochkarte, später nur noch Mikrofilmkarte genannt, war nahezu ein halbes Jahrhundert die gefragte platzsparende analoge Massen-Speicherung von Informationen, bis sie in den 1990er Jahren von digitalen Datenträgern schrittweise abgelöst wurde. Heute setzen nur noch wenige sicherheitssensible Behörden und Unternehmen auf den Mikrofilm als das unbestritten sicherste Langzeit-Speichermedium. Zwar war es der Franzose René Dagron, der im Jahre 1859 in Paris den Mikrofilm erfand, seine Massenverarbeitung aber hat die Menschheit dem deutschen Erfinder Dr. Ulrich Welp aus Bad Nauheim zu verdanken. Ihm gelang es Ende der 1950er Jahre erstmalig Text- und Bildinformationen, wie z.B. großformatige Bau- und Konstruktionspläne, direkt auf eine Mikrofilmlochkarte fototechnisch zu kopieren und eine industrielle Massennutzung dieses Mediums auszulösen.

Doch das Ende der Mikrofilmkarte verkündet jetzt der zuständige Branchenverband „motio-Netzwerk“ selbst. “Unser Mitglied Genus nimmt bis zum 31.1.2021 Bestellungen für die weltweit allerletzte Produktion von Mikrofilmkarten (Filmlochkarten) entgegen. Wer diesen analogen Datenträger noch bevorraten möchte, der hat jetzt die historisch letzte Chance beim Genus-Vertrieb von Claus Iff in Nordtirol zu bestellen”, so formuliert der Geschäftsführer des Netzwerkes (Wirtschaftsverbandes Kopie & Medientechnik) Rechtsanwalt Achim Carius aus Frankfurt am Main im jüngsten motio-Mitgliederrundschreiben. Zu seinem Branchennetzwerk zählten einst auch ca. 50 Mikrofilm-Fachbetriebe, die sich mittlerweile zu modernen Scan- und Archivierungs-Dienstleistern entwickelt haben. Diese Unternehmen kooperieren heute innerhalb des motio-Verbandes in der FMI-Gruppe. Zu ihnen gehört auch Lutz Bernschein aus Hungen bei Gießen, einer der ganz wenigen Mikrofilm-Profis in Deutschland, die noch Mikrofilmkarten belichten. Viele Millionen von Filmkarten schlummern noch in den Archiven und warten auf die Digitalisierung ihrer Inhalte, eine Dienstleistung, die Fachbetriebe aus dem motio-Netzwerk noch viele Jahre erbringen.

Carius initiierte jetzt den letzten Aufruf für dieses „langlebige analoge Backup-Archivmedium”, das als 35 x 53mm Mikrofilm-Einzelaufnahme Text- und Bildinformationen in bis zu einer 30fachen Verkleinerung in eine 187mm x 83mm Papp-Filmlochkarte einbettet, in den 1950er Jahren seinen großen Durchbruch im Archivierungsmarkt erlebte. Auslöser einer breiten Nutzung von Filmkarten war das damalige Verbandsmitglied Ulrich Welp. Er gilt als der erste Hersteller von Mikrofilmkameras, die Mikrofilmlochkarten in hoher Geschwindigkeit belichten konnten. Mit seiner Erfindung konnte man von nun an nach der Belichtung ohne manuelle Arbeit vollautomatisch chemisch im Kamerakopf entwickeln und auf einer Karte verfilmen. Welp war mit seinem Unternehmen Microbox somit der weltweit erste Hersteller von Spezialgeräten, mit denen Archivierungs-Dienstleister rund um den Globus große Mengen von Informationen in hoher Geschwindigkeit verkleinern und auf analogen Mikrofilmkarten archivieren konnte. Microbox-Ausgründer, wie Josef Schaudt (SMA Schaudt), bauten später ähnliche Geräte und optimierten deren Anwendung. Fortan starteten in der Region nördlich von Frankfurt viele Innovative in der Mikrofilmbranche ihre unternehmerische Karriere. Damals galt die hessische Wetterau als das „Silicon Valley des Mikrofilms“.

Heute produziert nur noch das Verbandsmitglied Genus (ehem. The Microfim Shop) in England als weltweit letzter Hersteller Lochkarten mit integriertem Film. „Lieferbar werden dann letztmalig sein: Montagekarten, Duplikatkarten und Plotterkarten (CAD-Pläne)”, so der Last Order-O-Ton aus der Verbandszentrale. Der emotional-zeitgeschichtlichen Dimension seiner Nachricht an alle Mitglieder ist sich Carius bewusst. Er schließt mit der Feststellung: “Nach diesem letzten Produktionslauf stellt niemand mehr auf der Welt Mikrofilmkarten her. Es war eine genial-innovative Erfindung, mit der unsere heutigen Scan- und Archivierungsbetriebe damals über viele Jahrzehnte gutes Geld verdien konnten.”
www.motio-media.de

 

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