Unternehmens-Leitbilder: Emotional und gendersensibel, aber schwer verständlich

Studie von Uni Hohenheim und Agentur Communication Lab analysiert Sprache und Inhalt der Leitbilder der 120 umsatzstärksten Unternehmen in Deutschland, Österreich und Schweiz.

Viele Unternehmen im deutschsprachigen Raum verspielten die Chance, durch ihre Leitbilder ein klares Bild von sich selbst zu vermitteln. Zu diesem Ergebnis kommt eine gemeinsame Studie der Universität Hohenheim in Stuttgart und der Ulmer Agentur Communication Lab, die die Leitbilder der 120 umsatzstärksten Unternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz auswertet. Demnach seien die meisten Leitbilder zwar sprachlich emotional und gendersensibel geschrieben, dafür jedoch eher schwer verständlich als klar und transparent. Für ihre Auswertung stützten sich die Forscher:innen auf computergestützte Sprachauswertungen. Positive Ausnahme unter den untersuchten Firmen ist der deutsche Großhändler Lekkerland.

„Leitbilder sind wichtig, weil sie Orientierung geben – sowohl den Mitarbeitenden als auch Kund:innen und Partner:innen. Ihren Zweck können Leitbilder aber nur erfüllen, wenn sie konkret sind, echte Substanz haben und ihre Zielgruppen ansprechen“, erklärt Oliver Haug, Geschäftsführer der Agentur Communication Lab in Ulm.

Diesen Anspruch würden Großunternehmen im DACH-Raum jedoch nur teilweise erfüllen, so das Fazit von Dr. Claudia Thoms, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachgebiet Kommunikationstheorie der Universität Hohenheim

Ihre Einschätzung stützen die Wissenschaftler:innen auf eine Text-Analyse mit Hilfe einer speziellen Software. Diese durchsuchte die Leitbilder unter anderem nach überlangen Sätzen, Fachbegriffen und zusammengesetzten Wörtern. Anhand solcher Merkmale bilden sie den „Hohenheimer Verständlichkeits-Index“ (HIX). Er reicht von 0 (schwer verständlich) bis 20 (leicht verständlich).

Nur elf von 120 Unternehmen erreichten das empfohlene Verständlichkeits-Niveau

Die Leitbilder erreichen durchschnittlich einen HIX-Wert von 8,5 Punkten. Nur elf der 120 untersuchten Leitbilder erreichen den empfohlenen Zielwert von mindestens 16 Punkten.

Das verständlichste Leitbild des deutschen Großhändlers Lekkerland erreicht sogar 18,3 Punkte. Weitere Positiv-Beispiele sind die Unternehmen Porr (18,0 Punkte), Nestlè (17,9), Hilti (17,5), Rewe International (17,0), Hapag-Lloyd (16,8), Boehringer Ingelheim Pharma (16,7), Amprion (16,6), Globus (16,5), BP Europa (16,4), Beiersdorf (16,3).

Die Mehrzahl der Unternehmen ist jedoch eher am unteren Ende der HIX-Skala angesiedelt: 52 % der Unternehmensleitbilder erreicht weniger als acht Punkte. 13 Leitbilder unterschreiten sogar die durchschnittliche Verständlichkeit einer politikwissenschaftlichen Doktorarbeit von 4,3 Punkten.

Das unverständlichste Leitbild des österreichischen Maschinen- und Anlagenbauers Andritz liegt bei 0,6 Punkten. „Die Unternehmen verspielen so eine Chance, ihren Zielgruppen ein klares Bild von sich zu vermitteln“, so das Fazit von Dr. Thoms, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachgebiet Kommunikationstheorie der Universität Hohenheim.

Die Unterschiede zwischen den Unternehmen aus Deutschland mit durchschnittlich 8,7 Punkten, Österreich (7,5 Punkte) und der Schweiz (8,9 Punkte) sind minimal. Beim Vergleich der Branchen fällt auf: Die Bauindustrie (10,4 Punkte), Konsumgüter und Handel (9,8 Punkte) sowie Transport und Logistik (8,7 Punkte) haben überdurchschnittlich verständliche Leitbilder. Dagegen kommen die unverständlichsten Leitbilder aus der Automobilindustrie – mit durchschnittlich nur 6,3 Punkten.

Gendersensible Sprache: wichtig, aber uneinheitlich in der Umsetzung

Die Mehrheit der Unternehmen (58 %) hat sich in ihren Leitbildern zum Gendern entschieden. Allerdings gendern nur 12 % der Unternehmen konsequent. Die meisten gendern nur vereinzelt und nicht durchgängig.

Am häufigsten kommen die Paarform (z. B. „Kundinnen und Kunden“; 33 % der Leitbilder) und neutrale Begriffe (z. B. Kundschaft; 32 % der Leitbilder) vor. Unterschiedliche Formen werden aber zum Teil auch in ein und demselben Text gemischt. „Die Vielfalt beim Gendern ist weniger überraschend – den einen Standard gibt es eben noch nicht“, erläutert Oliver Haug.

Emotionales Sprachklima macht Unternehmen erlebbar

Die Studie untersuchte auch die Zusammensetzung der Sprache in den Leitbildern. Dafür setzten die Wissenschaftler:innen die 4-Farben-Sprachmethode ein: Danach gestalten bestimmte Wörter „zwischen den Zeilen“ ein bestimmtes Sprachklima. Grundlage für die Sprachklima-Analyse ist die Klassifizierung des Wortschatzes in die vier Grundtypen Konservativ, Rational, Innovativ und Emotional. Die Wissenschaftler:innen analysierten den Anteil der einzelnen Worttypen im Text und leiteten daraus das Sprachklima ab.

Das Ergebnis der Analyse: In den Leitbildern dominieren zwar absolut gesehen rationale und konservative Wörter. Da die in der deutschen Sprache insgesamt verhältnismäßig selten vorkommenden emotionalen und innovativen Wörter allerdings einen relativ starken Einfluss auf das Sprachklima nehmen, lässt sich dennoch sagen: Mit den verwendeten emotionalen Begriffen schaffen es die Unternehmen, ihre Leitbilder zu emotionalisieren.

„Was interessant ist, denn in Deutschland dominiert eher das rationale Sprachklima“, kommentiert Andreas Förster, Spezialist für die 4-Farben-Sprachmethode am Ulmer Communication Lab. Für die Wirksamkeit von Leitbildern als Steuerungsinstrument ist dies von Vorteil: Es macht das Unternehmen, seine Ziele und Werte erlebbar und greifbar.

Zusätzlich zum Sprachklima wurde in der 4-Farben-Sprachanalyse auch die Verwendung von Wertebegriffen untersucht. Die Top-5-Wertbegriffe in den Leitbildern sind: „Nachhaltigkeit“ (in 67 Leitbildern), „Zukunft“ (in 54 Leitbildern), „Verantwortung“ (in 53 Leitbildern), „Menschen“ (in 51 Leitbildern) sowie „Erfolg“ (in 48 Leitbildern).

„Wenn Unternehmen in Zeiten von Dauerkrisen und ausdifferenzierten Märkten ihre Zielgruppen erreichen wollen, brauchen sie eines mehr denn je: eine klare Kommunikation, die die Menschen erreicht“, meint Haug. Dazu gehöre auch eine wirksame Selbstdarstellung in Form von Leitbildern. „In Leitbildern kommunizieren Unternehmen schließlich ihr Selbstverständnis und die angestrebte Unternehmenskultur. Aber: Die schönsten Werte nutzen nichts, wenn sie bei den Adressat:innen nicht ankommen“, so Dr. Thoms.
www.uni-hohenheim.de